Die unendliche Geschichte des PDF-Silos – oder wie die Digitalisierung der Finanzberichterstattung wirklich gelingen kann
8. Dezember 2023
Als ich vor einigen Tagen an der neusten Umfrage des Corporate Reporting Monitor: Zukunftslabor teilgenommen habe, musste ich an einer Stelle sehr schmunzeln. Eine zu bewertende These lautete:
„Der Geschäftsbericht ist die letzte Bastion von „Old Work“: klare Hierarchien und Entscheidungswege bestimmen die Erstellung des Geschäftsberichts.“
Ja, es ist wirklich bemerkenswert, wie stark die Beharrungskraft des klassischen PDFs im Financial Reporting ist. Denn beim Blick über den eigenen IR-Tellerrand wird schnell deutlich: Die Möglichkeiten des Corporate Reportings sind heutzutage immens. Angefangen bei Full-HTML-Onlineberichten über interaktive Rich-Media-Charts und Funktionen bis hin zur Bewegtbildkommunikation ist vieles möglich. Und die Zukunft steht schon in der Tür, Stichwort künstliche Intelligenz. Aus Sicht des bereits erwähnten Zukunftslabors ist die Welt der Kommunikation derzeit „in einem dynamischen Wandel begriffen – Plattformen wechseln sich ab, Augmented und Virtual Reality nehmen zu, KI-basierte Applikationen sowie die Einbindung der Nutzer*innen durch Gamification kommen immer mehr zum Einsatz.” Die triste Realität des Reporting-Alltags wirkt da bereits heute vielfach aus der Zeit gefallen.
Natürlich gibt es Vorreiter und viele Positivbeispiele. In der Breite ist jedoch bis in höchste „Indexregionen“ das klassische PDF ohne weiteres schmückendes Online-Beiwerk stark vertreten, im Small- und Microcap-Bereich gar weiterhin Standard.
Doch warum ist die Schere so groß? Die Gründe sind zahlreich, bekannt und vielfach nachvollziehbar. Hier trotzdem nochmal eine Einordnung, um darauf aufbauend zur Lösung beizutragen.
Die Finanzberichterstattung kann auf zwei Arten betrachtet werden: erstens hinsichtlich des Zwecks und zweitens hinsichtlich des Erstellungsprozesses.
Pflicht und Kür als wesentliche Faktoren
Sprechen wir vom Zweck der Finanzberichterstattung, kann man zwei „klassische“ Dimensionen der Investor Relations als Muster anbringen.
Da gibt es die Pflicht, die es unbedingt zu erfüllen gilt. Das Pflichtprogramm, das Unternehmen abspulen müssen, steht dabei vor allem in Abhängigkeit zur Größenordnung und zur Börsennotiz. Die Pflicht bestimmt das Reporting sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch des Zeitfaktors.
Ein Beispiel:
- Ein im Freiverkehr der Börse Düsseldorf gelistetes, deutsches Unternehmen kann seinen Geschäftsbericht nach sechs Monaten nur auf deutscher Sprache und nach deutscher Rechnungslegung (HGB) veröffentlichen.
- Im Prime Standard der Börse Frankfurt wären es für das gleiche Unternehmen nur vier Monate, zweisprachige Fassungen in Deutsch und Englisch und als Basis internationale Rechnungslegung nach IFRS.
Hinzu kommt die Kür: Hierunter fällt alles, was zusätzlich zur Pflicht ebenfalls als notwendig angesehen und umgesetzt wird.
Entscheidend für das Kürprogramm ist die Erwartungshaltung der Stakeholder – bei Finanzberichten weiterhin primär der Analysten und Investoren. Auch die Erwartungshaltung steht in Abhängigkeit zu Größenordnung und Börsennotiz. Von Blue Chips werden natürlicherweise größere Anstrengungen in Bezug auf das Reporting erwartet als von einem Small-Cap. Und auch intern gibt es Vorstellungen und Ansprüche – auch Befindlichkeiten, die einen Einfluss auf die Allokation des Budgets und die Schwerpunkte des Reporting nehmen.
Worum geht es bei der Kür konkret? Ein gutes Reporting setzt bei der Kür auch auf verständliche und nachvollziehbare Sprache sowie gute Argumentationen und endet bei einer optisch ansprechenden Aufbereitung, und hier eben nicht mehr primär off-, sondern online. Denn der gedruckte Geschäftsbericht, dessen sollten sich heute alle bewusst sein, hat in einer technologiegetriebenen, digitalen Welt nur noch nachrangige Bedeutung. Und ja, auch aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sollte die Stoßrichtung heutzutage digital sein.
Budget, Routine und Risikovermeidung als Hemmschuhe der Innovation
Die zweite wesentliche Dimension ist der Erstellungsprozess. Blickt man in die betrieblichen Prozesse von Unternehmen zur Erstellung von Reportings, wird schnell deutlich, dass zur Erfüllung des Pflichtprogramms bereits große Anstrengungen im Verhältnis zu den zur Verfügung stehenden Ressourcen notwendig sind.
Dieser aufwändige Prozess der Berichtserstellung, an dem eine Vielzahl von internen und externen Akteuren beteiligt sind, erschwert Innovationen im Berichtswesen enorm. Viele Reporting-Verantwortliche scheuen Veränderungen in einem eingespielten und funktionierenden Erstellungsprozess. Und diese Sorgen sind keinesfalls unberechtigt. Viele Börsenneulinge wissen davon zu berichten, wie aufwändig und anstrengend die ersten Berichtprojekte nach einem IPO sein können. So mancher Emittent ist sogar mit seinem ersten Bericht direkt gescheitert und musste kleinlaut „Verspätungszuschlag“ leisten. Jeder in der Financial Community weiß: Wenn so etwas passiert, ist das Vertrauen auf längere Sicht erheblich beschädigt. Zur Risikovermeidung trägt zusätzlich bei, dass immer wieder neue Pflichtaufgaben die Art und den Umfang des Reportings sowie des Erstellungsprozesses verändern, so dass die Priorisierung und Budgetierung digitaler Innovationen auf der Strecke bleibt – solange es die Pflicht nicht erfordert.
Hier offenbart sich ein grundsätzliches Dilemma: Es werden so viel Ressourcen für die Erstellung aufgewendet, dass für die eigentliche Veröffentlichung als Kürprogramm wenig Zeit bleibt. Hauptsache die Pflicht ist erfüllt! Dann noch Pressemitteilung, Webcast und Investoren- und Analystenanfragen etc. vorbereiten und koordinieren. Da bleibt für die digitale Aufbereitung des eigentlichen Berichts oft nicht mehr viel Zeit.
Doch Umfragen und Studien zeigen seit vielen Jahren immer wieder das gleiche Bild. Ja, der Geschäftsbericht wird tatsächlich gelesen. Nicht das gesamte Dokument, aber aufmerksames Querlesen – von Strategie und Geschäftsverlauf über die wichtigsten Finanzkennzahlen bis hin zur Prognose – gehört zur Standardlektüre jedes ernsthaften Investors. Und da zählt nicht nur Inhalt, sondern auch die Art der Präsentation. Kommunikation ist Psychologie und Vertrauen das Ziel. Und „das Auge liest nun einmal auch mit“. Unternehmen müssen in einer digitalen Welt immer wieder beweisen, dass sie Schritt halten mit der Dynamik und in der Lage sind, die Herausforderungen der Digitalisierung angemessen zu managen. Jedoch wird ab einer gewissen Größenordnung die Erwartung eines zeitgemäßen Reportings durch ein einfaches PDF, das in keinster Weise online aufbereitet wird, nicht mehr erfüllt. Im Gegenteil: Es hinterlässt beim Leser ein Störgefühl. Ist das betreffende Unternehmen eventuell nicht (mehr) auf der Höhe seiner Zeit?
Der Lösungsvorschlag: Innovationen im Erstellungsprozess und bei der Darreichungsform getrennt voneinander betrachten und schrittweise vorgehen
Der Markt für Tools zur Erstellung von Geschäftsberichten ist in den vergangenen zehn Jahren enorm gereift. Und natürlich greifen diese Tools den Prozess von Anfang bis Ende auf. Mit Blick auf die Einarbeitung des Zahlenmaterials und der Verarbeitung von Änderungsschleifen wird mittels kollaborativer Funktionen und Schnittstellen der gesamte Erstellungsprozess aufgegriffen und optimiert. Auch die Veröffentlichung wird optimiert und Berichte können in unterschiedlichen Formaten ausgespielt werden. Vom Full-HTML über das Tagging-Paket bis hin zum klassischen PDF ist alles möglich. Das große Problem für viele Emittenten: Der Schritt vom klassischen Erstellungsprozess hin zu einem vollständig plattformgebundenen Prozess ist im ersten Jahr kostenintensiv und Effizienzen machen sich erst später bemerkbar. Hinzu kommt die bereits geschilderte Sorge eines starken Eingriffs in etablierte Prozesse.
Welche Möglichkeiten haben Emittenten nun also in dieser Gemengelage?
Eine Variante ist natürlich, sich zu einem großen Sprung – dem leap-frooging – durchzuringen, und von klassisch direkt zu “innovativ” umzuschalten. Gute Einfallstore für solche Sprünge bieten grundlegende Veränderungen bei der Berichtspflicht wie die Einführung des ESEF-Formats im Jahr 2022 und die aktuell in Umsetzung befindliche CSRD. Geübte Teams mit ausreichend Budget und Ressourcen können sich so etwas erlauben.
Für nicht so mutige Emittenten mit hoher Taktung, engem Zeitplan und geringem Budget empfiehlt sich eher, die Digitalisierung des Erstellungsprozesses und des Berichts getrennt voneinander zu betrachten und Schritt für Schritt mit hybriden Varianten vorzugehen. Damit wird das Unternehmen aus der Verharrung gelöst, aber die Pflichterfüllung wird nicht gefährdet und das Budget dosierter eingesetzt.
Wie macht man das genau?
Bereiten Sie im ersten Jahr eine Landing Page (geschaeftsbericht.emittent-xyz.com) zu Ihrem Geschäftsbericht auf Ihrer eigenen Webseite vor. Machen Sie dort mit einigen Basic Features wesentliche Informationen aus Ihrem Berichts-PDF Online anschaulich verfügbar. Angefangen mit dem Key Visual Ihres Berichts-PDFs als Onlinebühne enthält die Seite einige Kernaussagen Ihres Berichts. Zeigen und zitieren Sie ihren Vorstand aus dem Brief an die Aktionäre, führen Sie eine Tabelle mit den Key Financials auf. Zum Abschluss findet der Besucher eine kleine Download-Bibliothek. Kleiner Side-Effekt: Durch die eigene Landingpage wird auch die Auffindbarkeit des Berichts bei Google deutlich verbessert. Eine solche Landingpage können Sie lange vor Erstellung des Geschäftsberichts vorbereiten, ohne in den eigentlichen Erstellungsprozess des Reportings einzugreifen.
Diese Seite können Sie in den Folgejahren immer wieder neu befüllen, das heißt, der Aufwand ist in den Folgejahren überschaubar. Schritt für Schritt können Sie sich dann bei der Art der Präsentation weiter nach vorne wagen. Arbeiten Sie mit einem Video, bauen Sie neue interaktive Charts ein, erweitern Sie die grafischen Elemente. Irgendwann kommt der Moment, an dem der Weg zur nächsten Innovation nicht mehr weit ist und auch die Arbeit mit einem echten Geschäftsberichtstool für Sie nur noch der nächste Schritt und kein Sprung ins kalte Wasser mehr ist. Alternativ starten Sie mit kollaborativen Elementen und wagen sich erst in den Folgejahren an die Optimierung der digitalen Aufbereitung.
Wie auch immer Sie vorgehen: Bleiben Sie nicht stehen! Denn so lassen Sie den Abstand zwischen Ihnen und einer innovativen Reportingkultur immer grösser werden. Irgendwann wird der Technologiesprung, den Sie vollziehen müssen, teurer und riskanter als nötig. Und noch viel wichtiger: In der Zwischenzeit sendet ihr Unternehmen die falsche Botschaft an seine Stakeholder, die von „altbacken“ bis zu „ihr seid uns nicht wichtig“ reicht. Das kostet Vertrauen!
Die beschriebene Vorgehensweise greift auch eines der Grundprinzipien des Scrum-Ansatzes auf, der bekanntermaßen eine hohe Praktikabilität in Change- und Digitalisierungsprozessen besitzt: Nicht immer das große Ganze vom Ende her denken, sondern sich in kleinen Schritten vorwagen. So gelingt die Digitalisierung des Reportings.
Die schlechte Nachricht für alle Emittenten, die bereits heute als First-Mover aktiv sind: Auch Sie müssen sich letztlich mit der permanenten Neuerfindung des Reportings in einer dynamischen Welt der Kommunikation zurechtfinden. Die nächsten Innovationsschübe stehen schon in der Haustür.