Virtuellen HVs gehört die Zukunft – aber nur mit echtem Dialog
20. April 2021
Die virtuellen Hauptversammlungen, die im vergangenen Jahr als Folge der Covid-19-Pandemie erstmals ohne begleitende Präsenzveranstaltung durchgeführt werden durften, gehen in ihre zweite Saison. Da stellt sich die Frage, ob diesen die Zukunft gehört. Die Antwort ist ein eindeutiges „Ja, aber“.
Ja, weil der Trend zur Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten ist und viele Unternehmen sich durch das neue Format bei ihren HVs sogar über mehr Teilnehmer als in Vor-Corona-Zeiten bei ihren Präsenzveranstaltungen freuen durften.
Aber, weil die Bundesregierung mit ihrer Covid-19-Gesetzgebung deutliche Zugeständnisse an die börsennotierten Gesellschaften gemacht hat, um deren Handlungsfähigkeit zu sichern. Diese gingen zulasten der Aktionärsrechte, was auf Dauer – vor allem nach Corona – nicht zu rechtfertigen, aber auch nicht notwendig ist. Die Technik ermöglicht es schon lange, alle Inhalte einer Präsenzveranstaltung eins zu eins online abzubilden. Bei einer Internetübertragung der Hauptversammlung sollten Aktionäre lediglich auf die Verpflegung, die sie bei einer Präsenzveranstaltung erhalten hätten, verzichten müssen.
Über Jahre erprobte Technologien
Rückblick auf das Frühjahr 2020: Die Bundesregierung ebnete mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie den Wegfür Aktionärstreffen im Internet ohne die bislang vorgeschriebene begleitende Vor-Ort-Veranstaltung. Damit wurde angesichts von Versammlungs- und Kontaktverboten die Beschlussfähigkeit der Aktiengesellschaften und auch die mögliche Ausschüttung von Dividenden kurzfristig sichergestellt.
Die meisten Emittenten haben sehr schnell reagiert und sich auf die veränderten Bedingungen eingestellt. Es war allerdings auch der einzige Weg, den Kontakt zu Investoren, Analysten und Journalisten in der Krise nicht abreißen zu lassen. Dabei kam vielen börsennotierten Gesellschaften auch zugute, dass sie schon Erfahrungen mit dem Streaming von Veranstaltungen gesammelt hatten, denn Onlineübertragungen wurden auch bereits vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie bei Bilanzpresse- oder Analystenkonferenzen eingesetzt.
Der Aufwand für eine Online-Hauptversammlung ist aufgrund der komplexen und eng gefassten rechtlichen Vorschriften natürlich größer als beispielsweise bei der Übertragung einer Bilanzpressekonferenz, die oftmals als Audio-Webcast übertragen wird. Allerdings erlauben es auch hier moderne und seit Jahren erprobte Technologien, den Teilnehmern am heimischen Computer das Live-Erlebnis zu vermitteln und dabei auch alle erforderlichen Vorgaben einzuhalten.
Komplettlösungen für jeden Bedarf
Im Premierenjahr der rein virtuellen Hauptversammlungen legten die Gesellschaften das Hauptaugenmerk auf einen reibungslosen Ablauf ihrer Aktionärstreffen. Dies funktionierte trotz der kurzfristigen Umstellung und den eher geringen Erfahrungswerten mit dem neuen Format dank erfahrener Dienstleister in der Regel ohne Probleme.
Die Emittenten konnten dabei je nach Bedarf zwischen verschiedenen Komplettlösungen für die technische Umsetzung wählen. Diese umfassen neben der Live-Übertragung im Internet unter anderem einen sicheren Authentifizierungsprozess, die Übermittlung von Vollmachten sowie Tools für Umfragen und rechtssichere Online-Abstimmungen.
In der zweiten Saison wäre es jetzt an der Zeit, den Dialog zwischen Vorstand und Aufsichtsrat mit den Aktionären und Aktionärsvertretern wieder in den Vordergrund zu rücken. In dieser Hinsicht hatten sich die meisten Emittenten im vergangenen Jahr darauf beschränkt, die Mindestanforderungen der Covid-19-Gesetzgebung zu erfüllen und nur vorab eingereichte Fragen zu beantworten; die klassische Generaldebatte fand praktisch überhaupt nicht mehr statt, was die Kritik der Aktionärsschützer hervorrief. Bei der Verlängerung der Sonderregelungen für das laufende Jahr verpasste es auch der Gesetzgeber, hier ein eindeutiges Zeichen zu setzen. Nachgebessert wurde nur marginal: So wurde aus der „Fragemöglichkeit“ der Aktionäre ein „Fragerecht“, eine Nachfrageoption während der Online-Veranstaltung ist aber auch weiterhin nicht vorgesehen.
Dass es anders geht, zeigt die Deutsche Bank, die bei ihrer Hauptversammlung Ende Mai als erster Dax-Konzern den Aktionären und ihren Vertretern Redebeiträge in Bild und Ton ermöglicht und zumindest ein beschränktes Nachfragerecht einräumt. Auch hier verfügen die Teilnehmer nicht über alle Rechte, die sie bei einer Präsenzveranstaltung ausüben könnten – es ist aber ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt, dass auch bei HVs mit tausenden Teilnehmern kein Grund besteht, den Dialog mit den Aktionären zu beschneiden.
Aktionärsfreundliche Unternehmen sollten daher auf eine offene Kommunikation setzen und auch während der Veranstaltung Live-Fragen aus dem Internet ermöglichen. Dieses interaktive Element, das sich über eine Chat-Funktion leicht abbilden lässt, sorgt nicht nur für Transparenz, sondern verleiht der Veranstaltung auch mehr Dynamik.
Smarte und kosteneffiziente Lösungen
Aber sprengt das nicht alles den finanziellen Rahmen? Diese Befürchtung hört man oft, aber sie ist unbegründet. Lösungen für Veranstaltungen mit vielen Präsenzteilnehmern, die Personal und professionelles Equipment vor Ort erfordern und in der Regel von den großen Konzernen aus dem Dax für ihre Online-Übertragungen eingesetzt werden, passen natürlich nicht in das Budget vieler kleinerer oder mittlerer Gesellschaften.
Es gibt mittlerweile aber auch smarte, kosteneffiziente Lösungen, die sich leicht umsetzen lassen und kein großes technisches Know-how erfordern. Für einen Audio-Webcast mit Bewegtbild beispielsweise braucht es lediglich eine Webcam, um die Livebilder der Sprecher aufzuzeichnen. Diese werden dann zusätzlich zu den synchron gesteuerten Präsentationsfolien in den Webcast eingebunden.
Emittenten sollten den Königsweg wählen
Es ist nicht davon auszugehen, dass das Rad bei den Hauptversammlungen vollständig zurückgedreht wird, auch wenn der Gesetzgeber wieder Präsenzveranstaltungen vorschreiben sollte. Vor allem die größeren Emittenten dürften weiter zweigleisig fahren und ihren Aktionären auch eine virtuelle Teilnahme ermöglichen. Letztendlich wird dies aber auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen abhängen, beispielsweise hinsichtlich der Anfechtbarkeit bei technischen Störungen.
So angenehm eine virtuelle HV mit eingeschränktem Fragerecht für die Unternehmen und die Protagonisten auf der Bühne auch ist – in Zukunft muss hier der Königsweg gegangen werden, der auch Live-Fragen aus dem Internet ermöglicht. Nur so dürfte der Gesetzgeber zu überzeugen sein, dass dauerhaft auf eine Vor-Ort-Veranstaltung verzichtet werden kann. Technisch ist es auf jeden Fall möglich, auch online den Dialog mit den Aktionären vollständig zu wahren – die EQS Group AG hat das 2020 bei ihrer eigenen HV vorgemacht.