Aktuelle KI-Entwicklungen in der Finanzkommunikation – Teil 2, Analysten

Wir stehen an der Schwelle einer neuen Ära, in der Technologie nicht nur ein Werkzeug ist, sondern ein integraler Bestandteil jeder strategischen Überlegung eines Unternehmens wird. Besonders in den Investor Relations sehen wir bereits heute, wie KI die Effizienz steigert, die Genauigkeit verbessert und völlig neue Möglichkeiten für die Interaktion zwischen Unternehmen und Investoren schafft. Im ersten Teil haben wir uns damit beschäftigt, warum sich Investor Relations oft so schwertut. Im zweiten Teil betrachten wir die Welt der Finanzmarktakteure, z.B. Analysten.

Muss der Mensch Angst vor den Maschinen haben? 

Die dystopische Angst vor dem drohenden Untergang der Menschheit ist verständlich, aber unbegründet. Daran hat niemand Interesse. Der Mensch hat Maschinen schon immer für seine eigenen Zwecke entwickelt und angepasst.  Die Maschine ist und bleibt unser Sparringspartner oder Assistent, den wir steuern und für unsere (Produktivitäts-)Zwecke einsetzen.  

Nun stellt sich jedoch die Frage, ob wir (aus lauter Bequemlichkeit) einfach der Logik ihrer Algorithmen folgen werden. Richtig eingesetzt wird künstliche Intelligenz sowohl die Qualität als auch die Produktivität unserer Arbeit in noch nie gekannte Höhen treiben, das zeigt u.a. die jüngste Umfrage der Berater von Deloitte. Was müssen wir also tun, um die Potenziale künstlicher Intelligenz nutzen zu können? 

Ausrichtung an einer Vision: Wie wir Chancen nutzen können 

Die IR-Kommunikation sollte einem datengesteuerten, innovativen und agilen Ansatz folgen, in welchem technologische Möglichkeiten und insbesondere die von künstlicher Intelligenz voll ausgeschöpft werden können. Dabei sollten wir unterschiedliche und sehr individuelle Zielgruppen in den Fokus nehmen, die wir mit hochwertigen, personalisierten Inhalten auf vor allem digitalen Kanälen ansprechen, um einen kontinuierlichen Mehrwert zu bieten. 

Anders arbeiten, um die Vision zu erreichen 

Ein solcher Ansatz kann grundsätzlich als “digitale Transformation” der IR-Branche verstanden werden. Wir erschließen neue Zielgruppen und müssen diese neuen Zielgruppen besser kennenlernen, wie wir auch das veränderte Verhalten unserer aktuellen Zielgruppen verstehen müssen. Und gleichzeitig müssen wir unsere internen Arbeitsweisen und Haltungen verändern, um diese Zielgruppen überhaupt entsprechend bedienen zu können. 

Ein Beispiel: Wie wird sich der moderne Investor oder Analyst verhalten? 

Ein moderner Investor oder Analyst trägt nicht mehr mühsam Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen. Für ihn werden KI-Systeme zur zentralen Anlaufstelle, wie das Beispiel Aladinn von BlackRock zeigt. Diese Systeme – die er auch sehr einfach auf seinen spezifischen Bedarf personalisieren kann – können riesige Datenmengen wie Unternehmens- und Marktdaten, Nachrichten und Social-Media-Aktivitäten in Echtzeit analysieren und aufbereiten. Der Analyst muss nur noch die richtigen Fragen stellen und die KI liefert maßgeschneiderte Insights und Handlungsempfehlungen. Die Aufbereitung von Daten ist nicht mehr sein Problem. Stattdessen wird er zum Daten-Interpreter und Entscheider. 

In Zukunft werden Dinge komprimiert: Fast niemand wird sich mehr die Mühe machen, Inhalte wie Geschäftsberichte, Präsentationen und Videos aktiv zu lesen oder anzuschauen. Schon jetzt gehört die Zusammenfassung von Texten oder Videos mit ChatGPT, Gemini und Co. zu den häufigsten und einfachsten Anwendungsmöglichkeiten. Auch auf diesen Case spezialisierte Anwendungen wie Documind, Ask your pdf oder KIWI Video sind überall für wenig Budget nutzbar. 

Stattdessen werden interaktive und multimediale und insbesondere individualisierte “IR- Erlebnisse” erwartet, überall dort, wo sich der Analyst oder Investor eben aufhält. Wobei aufhalten nicht einmal das richtige Wort ist. Die wichtigen Informationen müssen sozusagen dann bei ihm auftauchen, wenn er sie braucht. Und das, ohne vorher danach fragen oder suchen zu müssen. Er möchte selbst entscheiden, wie tief er in ein Thema einsteigt, Szenarien durchspielen und Daten nach seinen Bedürfnissen aufbereiten. KI-basierte Tools werden zum zentralen Werkzeug, um alle verfügbaren Datenquellen zeit- und ortsunabhängig in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Und dafür müssen die Daten eben einfach nur verfügbar sein. 

Schauen wir uns einmal an, wie Analysten und Investoren früher gearbeitet haben und wie sie im KI-Zeitalter arbeiten werden. Dafür nutzen wir das „Jobs to be Done” (JTBD) Framework, das von Tony Ulwick dem Gründer der Innovationsberatung Strategyn entwickelt und ausgearbeitet wurde. Dieses Framework versucht das Verhalten von Kunden und Nutzern zu verstehen, indem es sich auf Aufgaben konzentriert, die diese zu erledigen versuchen. Grundlegend für das Verständnis von JTBD ist die Annahme, dass die grundlegenden Bedürfnisse, die Menschen zu erledigen versuchen, über die Zeit hinweg konstant bleiben. Die Lösungen und Produkte zur Befriedigung von Bedürfnissen oder der Erledigung von Aufgaben verändern sich allerdings. Und es sind insbesondere neue Technologien, die großen Einfluss auf diese Veränderung haben! 

In unserem Fall betrachten wir also die Probleme und Aufgaben, die Analysten und Investoren zu lösen und zu erledigen versuchen. Dabei fokussieren wir uns nur auf die wichtigsten. Wir können dadurch sehen, wie KI die Welt unserer Kunden verändert und wie wir darauf reagieren müssen. 

Auf diese Veränderung des Verhaltens von Analysten und Investoren sollten Sie sich vorbereiten und einstellen. Auch wenn es durchaus noch traditionell arbeitende Analysten und Investoren gibt oder solche, welche die Digitalisierung nur langsam vollzogen haben, mit dem Durchbruch der künstlichen Intelligenz beginnt ein ganz neues Zeitalter, in welchem wir uns auf ein gänzlich anderes Kundenverhalten einstellen müssen.

Über die Autoren:
Dipl.-Kaufm. Thorsten Greiten (50) studierte BWL mit den Schwerpunkten Steuerlehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim. Er ist Geschäftsführer bei NetFederation und fachlich verantwortlich für den Bereich Digitale Finanzkommunikation. Er ist seit 2022 als Lektor mit der Vorlesungsreihe „Digitale Investor Relations“ im Department Digital Business und Innovation für die Fachhochschule St. Pölten tätig.

Boris Janek (57) ist Sozialwissenschaftler und seit mehr als 20 Jahren damit beschäftigt Innovation und Wandel von Organisation und Mensch zu fördern. Er ist Gründer und Inhaber von OPTIMINNO und setzt auf Generative KI um Menschen kreativer und Organisationen innovativer zu machen ein. Vorher war er in verschiedenen Rollen als Innovator und Geschäftsfeldentwickler u.a. in der genossenschaftlichen Finanzgruppe tätig.